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Obwohl die EU-Pauschalreiserichtlinie bereits seit dem 1. Juli 2018 gilt, sind Jugendverbände und Gruppen, die in erster Linie ehrenamtliche Kinder- und Jugendfreizeiten anbieten, nach wie vor verunsichert, ob sie als Reiseveranstalter gelten und damit dem Reiserecht unterliegen. Daher veranstalten wir regelmäßig Fortbildungen zu dieser Thematik – ein Blick in unsere Veranstaltungsangebote lohnt sich also. Derzeit erarbeiten wir eine Info-Broschüre zum Reiserecht, die nach Fertigstellung hier als Download zur Verfügung stehen soll. Gerne nehmen wir Sie in unseren Info-Verteiler auf, wenn Sie uns eine kurze Mail schreiben: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Interview mit Reiserechtsexpertin Anja Smettan-Öztürk

Die Rechtsanwältin Anja Smettan-Öztürk ist Expertin für Tourismus- und Reiseverkehrsrecht und war bereits mehrfach Referentin bei unseren Seminaren zum Thema „Reiserecht“. Zu den am häufigsten gestellten Fragen haben wir Anja Smettan-Ötztürk gebeten, sie für uns kompakt zu beantworten.

BAG: Immer wieder erreichen uns Anrufe, bei denen ehrenamtlich organisierte Jugendverbände fragen, ab wann sie denn überhaupt als Reiseveranstalter gelten. 

Anja Smettan-Öztürk: Die Vorschriften des Pauschalreiserechts gelten, wenn mindestens zwei verschiedene Reiseleistungen für dieselbe Reise gebündelt werden. Laut Gesetz gibt es vier Arten von Reiseleistungen: (1) Beförderung von Personen mit Flug, Schiff, Bus oder Bahn, (2) Beherbergung, (3) Vermietung von bestimmten Kraftfahrzeugen sowie von Krafträdern und schließlich noch (4) jede sonstige touristische Leistung, die nicht unter diese Kategorien fällt und die kein Bestandteil einer anderen Reiseleistung ist. Dazu gehören zum Beispiel Stadtführungen, Skipässe, Eintrittskarten in Theater oder Museen. Anbieter von Tagesreisen, die kürzer als 24 Stunden und ohne Übernachtung sind, fallen nicht unter das Reiserecht. Einzige Ausnahme: Wenn der Reisepreis pro Person bei mehr als 500 Euro liegt, greift auch bei Tagesreisen das Reiserecht. Außerdem sind Veranstalter, die Reisen nur gelegentlich, nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung durchführen und nur für einen begrenzten Teilnehmerkreis anbieten, ausgenommen. Das kann zum Beispiel eine einmal im Jahr organisierte Vereinsreise für die eigenen Mitglieder sein.

Diese drei Voraussetzungen müssen jedoch kumulativ - also alle zusammen - vorliegen. Wird eine Reise zwar nicht mit der Absicht Angebote, Gewinn zu erzielen, aber der Teilnehmerkreis ist offen, kann sich der Anbieter nicht auf die Ausnahmeregelung berufen.

BAG: Unsere Anrufer wollen wissen, wie sie die Rolle des Veranstalters eventuell umgehen können. Ist das möglich und sinnvoll?

Anja Smettan-Öztürk: Das ist eine Entscheidung im Einzelfall. Eine Möglichkeit ist es, die eigenen Angebote in die Hände von professionellen Reiseveranstaltern zu geben, um sämtliche Formalitäten wie Insolvenzversicherung und Informationspflichten zu übertragen. Eine weitere Überlegung könnte sein, dass die Reisenden ihre Unterkunft zum Beispiel selbst buchen und der Anbieter sich lediglich um das Programm kümmert. Dann gibt es keine Bündelung von Reisebausteinen.

BAG: Fallen katholische Jugendbildungsstätten auch unter die Pauschalreiserichtline, wenn sie zum Beispiel Übernachtungen zusammen mit einem pädagogischen Programm anbieten, aber die Anreise nicht?

Anja Smettan-ÖztürkAuch hier muss man sich die Angebote von Fall zu Fall anschauen. Prinzipiell gilt eine Übernachtung kombiniert mit anderen Reiseleistungen durchaus als Pauschalreise, und pädagogische Angebote wie Führungen durch Gedenkstätten und Museen werden häufig als touristische Leistungen eingestuft. Es gibt aber Ausnahmeregelungen. Es handelt sich nämlich nicht um eine Pauschalreise, wenn nur eine der oben genannten Reiseleistungen der Nummern 1 bis 3  - also Personenbeförderung, Beherbergung, Vermietung von Kraftfahrzeugen bzw. Krafträdern - mit einer oder mehreren touristischen Leistungen gemeinsam angeboten wird. Außerdem dürfen die touristischen Leistungen keinen erheblichen Anteil am Gesamtwert der Zusammenstellung (weniger als 25 Prozent) ausmachen und auch kein wesentliches Merkmal der Zusammenstellung darstellen oder als solches beworben werden. Wichtig ist deshalb folgendes: Wird ein Begriff wie „Pauschale“ in der werblichen Kommunikation mit Gästen verwendet, wird ein Angebot automatisch zur Pauschalreise. Dann gilt das Pauschalreiserecht, weil die touristische Leistung dadurch als wesentliches Merkmal beworben wird.

BAG: Reiseveranstalter oder Reisevermittler? Diese Frage stellen sich zum Beispiel auch Ortsgruppen, die die Anmeldung und Anfahrt zu zentralen Verbandstreffen ihres Dachverbandes organisieren, der wiederum eingeladen hat. Für wen gilt welche Rolle? Und welche Pflichten haben Veranstalter und Vermittler jeweils? 

Anja Smettan-Öztürk: Vermittler werden selbst zum Reiseveranstalter, wenn sie mehrere Leistungsbestandteile eigenständig kombinieren und als Paket zu einem Gesamtpreis anbieten. Vermittler können auch unbeabsichtigt wie ein „Quasi-Veranstalter“ zur Haftung herangezogen werden, wenn sie bei der Vermittlung mehrerer verschiedener Reiseleistungen nicht kenntlich machen, dass sie lediglich Angebote vermitteln. Auch bei der Vermittlung von nur einer Leistung wie zum Beispiel der Übernachtung muss der Vermittler seine Rolle deutlich machen. Am besten nimmt er deshalb auch keine Gelder entgegen. Wichtig ist, dass dem Gast deutlich wird, in wessen Händen die Verantwortung als Veranstalter liegt.

BAG: Auch der Insolvenzschutz bereitet vielen kleinen Anbietern Kopfzerbrechen. Braucht eine kirchliche Organisation oder ein Jugendverband überhaupt einen Sicherungsschein? Besonders wenn nur Verbandsmitglieder gemeinsam auf Reisen gehen, stellen sich viele die Frage: Sind wir dann nicht eine feste Gruppe, die nicht unter die Pauschalreiserichtlinie fällt?

Anja Smettan-Öztürk: Ja, eine Insolvenzversicherung ist Pflicht, wenn man nicht unter die oben genannte Ausnahmeregelung fällt. Geht ein Verband jedoch als geschlossene Gruppe auf Reisen und wird dieses Angebot nur ein Mal jährlich dem eingegrenzten Teilnehmerkreis unterbreitet, ist die Ausnahme durchaus denkbar. Ansonsten gibt es aber Anbieter in der Versicherungsbranche, die sich auf kirchliche Träger spezialisiert haben und Versicherungsschutz anbieten.